"Haus Kummerveldt" | Produzentin Lotte Ruf im Interview
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Schriftstellerei als größtes Glück: Luise von Kummerveldt.
© ABYLL / Goldstoff Filme
"Ohne das Münsterland gäbe es die Serie nicht"
Lotte Ruf im Interview

Die "Haus Kummerveldt"-Produzentin über den Grimme-Preis, Heldin Luise und das Münsterland als Filmkulisse

Eine historische Geschichte, modern erzählt: Längst sorgt die im Münsterland gedrehte Serie "Haus Kummerveldt" weit über die Region hinaus für Furore. In der Entstehung wurde die Dramedy vom Münsterland e.V. unterstützt. Seit dem 14. März feiert das Team um Produzentin Lotte Ruf und Regisseur Mark Lorei seinen bislang größten Erfolg: die Auszeichnung mit dem Grimme-Preis Spezial 2024. Vor der Bekanntgabe der Preisträgerinnen und Preisträger hat Lotte Ruf im Gespräch mit dem Münsterland e.V. über ihre Arbeit an dem Erfolgsprojekt berichtet.

"Mehr, als ich mir jemals erträumt habe"

Frau Ruf, Ihre Serie "Haus Kummerveldt" ist eine bereits preisgekrönte Erfolgsgeschichte. Was bedeutet Ihnen nun die Nominierung für den Grimme-Preis?

Gleich mit der ersten Produktion für den wichtigsten deutschen Fernsehpreis nominiert zu sein ist mehr, als ich mir jemals erträumt habe. Es ist eine große Ehre. Wir hoffen auf einen Karriereschub, der dann auch die Finanzierung einer nächsten Staffel deutlich erleichtert.

Wie sah Ihre Reaktion auf die Nominierung aus?

Morgens um halb neun habe ich einen Anruf von Fabian Nolte, der in der Serie den Hausdiener spielt, verpasst. Kurz danach schickte er mir kommentarlos einen Link zum Grimme-Institut zu. "Haus Kummerveldt" in der Liste der Nominierungen zu lesen, ist bis heute unfassbar. Dieser 18. Januar war ein bisschen wie ein Geburtstag: Ständig hat jemand angerufen und gratuliert, es war ganz großartig.  

Wie oft rufen Sie die Website des Grimme-Instituts auf?

Einmal täglich, mindestens. Es hilft gegen kleine Tiefschläge im Alltag – egal, wie schlecht gelaunt man ist. Ich warte auf den Tag, an dem ich diese Nachricht verarbeitet habe. 

Die Arbeit an "Haus Kummerveldt" begann vor inzwischen sieben Jahren. Welche Idee stand am Anfang von allem?

Bereits 2017 hat Mark Lorei einen Kurzfilm gedreht, der im Schlösser- und Adelskontext des Münsterlandes spielt. So entstand der Gedanke, eine längere Geschichte über den Landadel im 19. Jahrhundert mit Bezügen zur Gegenwart zu erzählen. Es sollte in erster Linie um die sozialen und sexistischen Muster gehen, die damals zwar ausgeprägter waren, aber heute leider noch immer ein Thema sind. Daraus wurde "Haus Kummerveldt". 

"Kein klischeeverstaubter, sondern supermoderner Historienfilm"

Seit 2018 sind Sie als Produzentin im Team. Was verbirgt sich hinter Ihrem Job?

Als Produzentin mache ich möglich. Wenn ein Regisseur wie Mark Lorei mit einer Idee auf mich zukommt und ich auch an sie glaube, gebe ich all meine Energie für die Umsetzung. Produzentin zu sein heißt viel: zum Beispiel Geld zu akquirieren, Förderanträge zu schreiben und das Team zusammenzustellen. Es gilt, die richtigen kreativen Köpfe für das Projekt zu finden. Auch Öffentlichkeitsarbeit und die Verträge mit den Sendern fallen in meinen Aufgabenbereich. Und zwischendurch suche ich etwa jemanden, der eine Kutsche zur Verfügung stellt, weil diese spontan ins Bild muss.

Wann ist ein Projekt für Sie abgeschlossen?

Liegt das Material fertig auf der Festplatte, ist meine Aufgabe nicht vorbei. Die dann startende Vermarktung ist das Wichtigste, schließlich sollen ein Film oder eine Serie vom Publikum gesehen werden. Im Prinzip häufe ich mit den Jahren immer mehr Projekte an, schließe aber nie eines komplett ab.

Was zeichnet für Sie "Haus Kummerveldt" aus?

Ich liebe an der Serie die Überraschungsmomente: Stilbrüche durch die Musik, aber auch Einschübe wie nachinszenierte Gemälde. Es ist eben kein klischeeverstaubter, sondern supermoderner Historienfilm. "Haus Kummerveldt" zeigt den Adel im Alltag, nahbar und persönlich. Und so abseits einer Audienz oder einem großen Ball, die man im Film oft gesehen hat. 

Außergewöhnlich ist auch das Intro: Wie ein Gemälde arrangiertes Obst verdirbt im Schnelldurchlauf.

Das Intro zeigt Vergänglichkeit in Form eines damals typischen Stilllebens. Nichts davon ist übrigens animiert worden, der gesamte Prozess hat zwölf Wochen gedauert. Gefilmt haben wir das Intro im ehemaligen Kinderzimmer unseres Kameramanns. Trotz voll aufgedrehter Heizung war nach drei Wochen mit dem Obst kaum etwas passiert, eine Weile danach ging es schließlich richtig los. Weil es so stank, mussten wir mit Schutzmasken den Raum betreten. Im Abspann nennen wir die Mutter unseres Kameramanns unter "Special Thanks" – dafür, dass sie diese eklige Angelegenheit zu Hause durchgemacht hat.

Niemand weiß genau, wie die Menschen damals lebten. Wie näherten Sie sich der Historie?

Bei einer solchen Produktion stellt sich automatisch die Frage nach der Authentizität. Stets fließen die Perspektiven der Filmschaffenden ein, wir können nur eine Illusion einer authentischen historischen Welt realisieren. Und möchten dies gar nicht verschweigen. Auch deshalb sind Anachronismen Teil von "Haus Kummerveldt", wie die Split-Screens und der Punk – eindeutig keine historischen Elemente.

"Für das Leben von Luise von Kummerveldt haben wir uns aus mehreren Biografien bedient"

"Haus Kummerveldt" spielt im Münsterland. Welchen Anteil hat die Region am Erfolg?

Ohne das Münsterland gäbe es die Serie nicht. Die 2019 gedrehten Pilotepisoden wurden komplett von Förderern und Partnern aus der Region finanziert. In der Filmbranche hat damals niemand an das Projekt geglaubt. Allein beim Stichwort Historienfilm – häufig als zu schwierig und zu teuer angesehen – waren wir in Gesprächen schnell wieder draußen. Im Münsterland sagten alle: "Toll, finden wir super!" Für diesen wahnsinnigen Rückhalt sind wir sehr dankbar. Auch an unseren Drehorten im Münsterland wurden wir mit offenen Armen empfangen.

Die Serie spielt an und in Schlössern und Burgen. Worauf kam es bei der Auswahl der Locations an?

Ob ein Ort zum Drehen geeignet ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Auf einer Tour durchs Münsterland haben wir uns damals ein Haus nach dem anderen angeschaut. Manche mussten wir sofort ausschließen, weil nebenan eine Landstraße verläuft – für den Ton zu laut, fürs Bild durch den sichtbaren Verkehr problematisch. In der Burg Vischering in Lüdinghausen konnten wir zum Beispiel nicht innen drehen, weil sich darin ein Museum befindet, mit renovierten und barrierefreien Räumen. Der Hof und die Burg von außen waren jedoch ideal geeignet.

Zum Stammsitz der Familie von Kummerveldt wurde die Wasserburg Haus Welbergen in Ochtrup.

Führungen sind dort zwar möglich, es gibt aber keinen täglichen Museumsbetrieb. Überzeugt hat uns auch, dass es größtenteils noch wie ein Wohnhaus im 19. Jahrhundert eingerichtet ist.

Inwiefern haben die Orte die Geschichte beeinflusst?

Die Suche nach Locations und die Entstehung des Drehbuchs laufen bei uns parallel. Wir wussten zum Beispiel, wir brauchten ein Schlafzimmer, eine Küche und einen Burghof. Als klar war, welche wir nutzen, wurde das Drehbuch auf die Gegebenheiten vor Ort angepasst. Manchmal entdeckt man auch eine Kulisse, die so stark ist, dass Szenen für sie geschrieben werden müssen, wie beispielsweise die Szenen im Garten von Haus Welbergen, wie die Kuchenschlacht oder das Boule-Spiel.

Luises Vorbild ist eine der berühmtesten Persönlichkeiten des Münsterlandes. Welche Rolle spielt Annette von Droste-Hülshoff in "Haus Kummerveldt"?

Wir verfilmen nicht ihre Geschichte, aber "Haus Kummerveldt" ist inspiriert von ihrem Leben und denen einiger weiterer Autorinnen. Annette von Droste-Hülshoff hatte das Glück, unter ihrem Namen veröffentlichen zu dürfen – im Gegensatz zu den meisten schreibenden Frauen in dieser Zeit. Bei manchen ist erst gegen Ende ihres Lebens oder posthum herausgekommen, dass sie hinter ihrem männlichen Pseudonym steckten. Von anderen wissen wir vermutlich bis heute nichts.

Was interessiert Sie an diesen Umständen?

Sehr viele Autorinnen von damals sind im Schulunterricht heute gang und gäbe. Dabei gerät häufig in Vergessenheit, wie sehr sie darum kämpfen mussten, ihre Texte überhaupt veröffentlichen zu können. Für das Leben von Luise von Kummerveldt haben wir uns aus mehreren Biografien bedient. Und wir konnten in der Bibliothek auf Burg Hülshoff drehen.

Es ist die originale Bibliothek der Dichterin.

Diesen Ort für "Haus Kummerveldt" nutzen zu dürfen, war etwas ganz Besonderes. Mark Lorei meinte einmal augenzwinkernd, Annettes Geist zu spüren.

"Wir wollen weitermachen"

Sie erwähnten bereits die Zusammenstellung des Teams, eine Ihrer Aufgaben als Produzentin. Wie ist es Ihnen bei "Haus Kummerveldt" gelungen, künstlerisch gemeinsam an einem Strang zu ziehen?

Das Team von "Haus Kummerveldt" ist einzigartig. Die meisten von uns sind seit Tag eins im Jahr 2018 dabei und haben sämtliche Schritte des Projekts miterlebt, jede und jeder konnte eigene Visionen einbringen. Anfangs hatten wir gar kein Geld, dann ein bisschen und schließlich wenig. Noch immer sind wir nicht beim Standard einer normalen Produktion angekommen, sondern im Low-Budget-Bereich unterwegs. "Haus Kummerveldt" hat uns zusammengeschweißt, wir sind eine Filmfamilie geworden. Und obwohl dies unser Beruf ist, sieht niemand das Projekt als einen Job von vielen. Wir motivieren uns gegenseitig.

Fiel es Ihnen immer leicht, an "Haus Kummerveldt" festzuhalten?

In manchen Momenten dachte ich: Das darf nicht wahr sein, vielleicht wird daraus nie etwas! Zwischen den Pilotepisoden und der Fortsetzung lagen zweieinhalb Jahre, in denen wir zeitweise verzweifelt versuchten, das Projekt zu finanzieren. Es ging darum, alle Beteiligten bezahlen zu können. Von manchen Sendern ein kategorisches Nein zu einem historischen Projekt zu hören – noch bevor sich dort überhaupt jemand unser Material angesehen hatte –, war frustrierend. Aber nie frustrierend genug, um aufzugeben.

Mehrmals schon lief "Haus Kummerveldt" auf großer Leinwand, begonnen mit der Premiere im Münsterland. Wie ist es, die eigene Serie so zu sehen?

"Haus Kummerveldt" im Kino, in einer Dolby-Surround-Mischung zu erleben, geht unter die Haut. Die Serie kenne ich mittlerweile ja auswendig. Das Spannende sind die ganz unterschiedlichen Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer – bei welchen Pointen sie zum Beispiel lachen. Im Kino würde ich deshalb am liebsten in der ersten Reihe sitzen, mit Blick aufs Publikum.

Welche Reaktion hören Sie am häufigsten?

Eine, die Rückenwind gibt: "Wann geht es weiter? Wir wollen mehr!"

Wie lautet Ihre Antwort?

Wir wollen weitermachen, schreiben am Drehbuch für eine neue Staffel und sprechen mit Förderern und Sendern. "Haus Kummerveldt" war der Anlass für Mark Lorei und mich, eine Produktionsfirma zu gründen, die wir auch über "Haus Kummerveldt" hinaus fortführen. Es ist längst kein einzelnes Projekt mehr, sondern ein fester Bestandteil des Lebens.

Das Interview führte Christoph Schwartländer.

Zur Person

Lotte Ruf, geboren 1996 in Düsseldorf, studierte Film & Sound an der FH Dortmund und schloss ihren Bachelor in Filmproduktion mit der Serie "Haus Kummerveldt" ab. Dafür wurde sie mit dem Publikumspreis beim "First Steps Award" ausgezeichnet. Derzeit absolviert Lotte Ruf den Masterstudiengang Film- & Fernsehproduktion an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Zusammen mit Regisseur Mark Lorei gründete sie 2022 die Produktionsfirma Goldstoff Filme GmbH mit Sitz auf Haus Itlingen in Ascheberg-Herbern.

Neben "Haus Kummerveldt" entstand unter anderem der Kurzfilm "Die Spökenkiekerin und das Fräulein", der noch bis zum 31. März 2024 in der ARD Mediathek zu sehen ist. In Entwicklung befindet sich aktuell der Kurzfilm "Die Baronesse", basierend auf dem münsterländischen Märchen "Die weiße Dame", welcher ebenfalls vom Regionale Kultur Programm NRW (RKP) gefördert wird. Die Dreharbeiten sollen im Herbst 2024 stattfinden.

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