Mit dem Haus Marck in Tecklenburg hat Ricarda Freifrau von Diepenbroick-Grüter vor mehr als 25 Jahren den Stammsitz ihrer Familie übernommen. Sie ist die Erste, die das Wasserschloss aus dem 14. Jahrhundert in großem Rahmen mit der Öffentlichkeit teilt: Haus Marck ist Heiratsort, Kulturstätte und Location für Veranstaltungen in einem. Was es heißt, ein altehrwürdiges Zuhause zu neuem Leben zu erwecken, erzählt Ricarda von Diepenbroick-Grüter im Gespräch.
Als ich 17 war, fragte mich mein Patenonkel: „Kannst du dir vorstellen, das Haus zu übernehmen?“ Er hatte keine Kinder und überlegte sich, wem von seinen Neffen und Nichten er die Aufgabe zutraut und wer Spaß am Schloss haben könnte. In meinem jugendlichen Leichtsinn sagte ich zu, hatte aber keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Ein paar Jahre später lud er mich ein, den Alltag im Schloss kennenzulernen. Meine Großmutter wohnte zu dieser Zeit noch hier, die er mit versorgte. Sie war körperlich eingeschränkt und brauchte entsprechende Unterstützung. Mein Onkel fuhr dann für sechs Wochen nach China, und ich musste Haus Marck irgendwie wuppen. Bis zum Umzug habe ich gezögert.
Es ging auch darum, Freiheiten aufzugeben und einen Partner zu finden, der das Leben auf dem Land mitmacht. Wir sind ja in Städten groß geworden. Mein Mann und ich kommen aus anderen Metiers: Er ist Arzt, ich bin Kulturwissenschaftlerin. Beim Schloss spreche ich gerne von der Lust und der Last. Inzwischen habe ich mich sehr damit identifiziert.
Ja, es ist zu meinem Lebensinhalt geworden. Dafür habe ich Zeit gebraucht. Es war gewöhnungsbedürftig, das Schloss überhaupt erst zu erwohnen. Wir kamen aus einem normalen Haushalt in Dortmund und hatten nun ein Riesenareal mit fast 100 Hektar zu verwalten. Seit zehn Jahren stehe ich voll und ganz hinter Haus Marck.
Von Anfang an. Meine Geschwister und ich waren sehr oft im Schloss zu Besuch, durften alle Freunde aus der Schule mitbringen und verbrachten hier die Ferien. Ich erinnere mich, dass ich schon damals die Atmosphäre in den unterschiedlichen Jahreszeiten sehr mochte. Vor allem, wenn wir an Weihnachten singend im mit Geschenken vollbepackten Auto nach Tecklenburg fuhren, tauchten wir langsam in eine andere Welt ein.
Außen hat sich von 1750 an nie etwas Wesentliches am Schloss verändert. Diese Beständigkeit bringt etwas Konservatives und Klassisches mit sich. Zugleich komme ich schnell wieder zu Kräften, nachdem ich viel unterwegs gewesen bin. Haus Marck lässt mich durchatmen: Wenn ich am Kamin sitze oder einmal durch den Wald laufe, breitet sich die Ruhe aus.
Es war auch der Lieblingsplatz meiner Großmutter. Wenn sie dort saß, etwa zur täglichen Kaffeemahlzeit ab 16 Uhr, kam regelmäßig jemand unangemeldet zum Gespräch vorbei: Pächter, die etwas klären wollten oder Freunde, die auf der Durchreise in Tecklenburg vorbeischauten. Open House – das gefiel meiner Großmutter. Vom Balkon aus erkennt man, wie das Wetter kommt und geht, schaut auf das Wasser und den Wald. Bei mir werden dort frühe Kindheitserinnerungen wach: Abends, wenn die Vögel noch einmal zwitscherten, hieß es: „Hör mal, wie sie sich ‚Gute Nacht‘ sagen.“
Das bedeutendste Ereignis sind die Vorverhandlungen für den Westfälischen Frieden, die hier stattgefunden haben. Fünf Jahre vor dem Friedensschluss, also 1643, trafen sich die Gesandten zu ersten Sondierungsgesprächen. 1831 wurde Friedrich von Bodelschwingh im Schloss geboren, der die Stiftungen Bethel in Bielefeld zu dem gemacht hat, was sie sind. Übrigens besteht bis heute eine enge Freundschaft zwischen der Familie von Bodelschwingh und uns. Auch über diese beiden historischen Highlights hinaus fällt auf, dass in Haus Marck stets Friedliches passiert ist. Das Gut ist seit über 700 Jahren im Familienbesitz. Sie hatten hier viel Glück und wurden auch in Kriegszeiten verschont.
Es gibt zum Beispiel die Geschichte von der schönen Georgine, die mit dem Landrat Louis von Diepenbroick-Grüter verheiratet war. Nach dem Einzug der Franzosen war das Land zu Beginn des 19. Jahrhunderts zerrüttet und unsere Familie verarmt, sodass sie das Haus verkaufen musste. Es erwarb dann Carl Kabrun, ein Freund von Louis und reicher Kaufmann aus Danzig, der unglücklich in Georgine verliebt war. Schließlich nahm er sich vor lauter Trauer das Leben und verfügte in seinem Testament, dass Haus Marck wieder der Familie gehören sollte. Georgine starb jung und wenige Jahre nach ihm. Heute hängen ihre Porträts nebeneinander in unserem Rittersaal.
Wir sind in einer Phase, in der wir alles modernisieren. Meine Vorfahren haben etwa bezüglich der Elektrifizierung einiges umgesetzt. Wir versuchen nun, erneuerbare Energien zu verwenden, sofern sie mit dem Denkmalschutz zu vereinen sind. Wir wollen natürlich die hohen Heizkosten senken. Und die Dächer müssen dicht sein. Unser Anliegen ist, hier eine gute Lebensgrundlage für die nächste Generation zu schaffen.
Mit der Übernahme von Haus Marck wurde klar, dass wir, um es zu erhalten, eine neue Nutzung finden müssen. Die laufenden Kosten sind immens, die Einnahmen aus Land und Forst brachten irgendwann nicht mehr genügend ein. Wir entschieden uns, das Haus deutlich mehr zu öffnen. In den vergangenen Jahren sind Hochzeiten zu unserer Haupteinnahmequelle geworden.
Inzwischen finden 100 Hochzeiten pro Jahr bei uns statt. Schon seit 1998 arbeiten wir mit dem Standesamt Tecklenburg zusammen. Darüber hinaus entscheiden sich mehr und mehr Paare dafür, im Rahmen einer freien Trauung zu heiraten. Drei Räume stehen für Hochzeiten zur Verfügung: das historische Landratszimmer, der Rittersaal und die Remise.
Sie schätzen das unvergessliche Ambiente. Mit unserem Angebot können wir sämtliche Bedürfnisse und Geschmäcker befriedigen. Die Gesellschaft verändert sich ja: Heute heiraten die meisten Paare nicht mehr in der Kirche, wünschen sich aber eine festliche Zeremonie. Viele Leute suchen einen schönen, besonderen Ort – den haben wir, und zwar für Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen. Auch ein exklusives Firmenevent oder Seminare und Schulungen von Baumfachleuten, die gleich mit der Natur hier arbeiten, passen hervorragend. Eine Scheune gegenüber dem Schloss haben wir erst kürzlich zu einem Ferienhaus ausgebaut, das sehr gerne genutzt wird. Feiern mit Tanz und Musik funktionieren nicht, dafür sind unsere Räume zu klein.
Als Filmkulisse war das Schloss eine Premiere. Neulich wurde bei uns, auch das zum ersten Mal, ein Heavy-Metal-Musikvideo gedreht. Zwischendurch hatten wir Angst, dass uns der Putz von der Decke fällt. Ich finde es spannend, ganz Unterschiedliches zu kombinieren, solange es zum Haus passt. Mein Traum wäre einmal ein hier spielender Münster-„Tatort“. Haus Marck eignet sich bestimmt für einen Krimi.
Von April bis Dezember laden wir zu den „Wasserschlosskonzerten“ im Rittersaal ein und in der Remise gibt es Aufführungen des „Krokodiltheaters“. Ich mag sehr, dass die Kultur zu uns ins Haus kommt. Damit setzen wir eine beliebte Tradition fort: Die ersten Konzerte wurden schon in den 1970er Jahren gespielt. Spürbar nachgelassen hat das Interesse an Führungen zur Geschichte des Hauses. Ich erinnere mich, wie mein Großvater den Gästen an den Wochenenden das Schloss nähergebracht hat. Heute lohnt es sich, Führungen hauptsächlich zum „Schlösser- und Burgentag“ und zum „Tag des offenen Denkmals“ anzubieten.
Mein Credo ist: Das Schöne leben. Ich führe Haus Marck mit Leidenschaft und möchte, dass es unseren Gästen an nichts fehlt. Entscheidend sind manchmal Kleinigkeiten wie frische Blumen oder passende Hussen. Es hat sich bewährt, auf wertige Dinge zu achten.
Eine Freundin und ich haben die Firma gemeinsam gegründet und bislang viele unserer Events wie Vorträge und Knigge-Seminare in Haus Marck veranstaltet. Es ist unheimlich authentisch, gerade hier über Stil zu sprechen. Mir sind diese Themen nicht fremd, weil ich so erzogen worden bin. Nun versuche ich, sie auf eine lockere, moderne Art zu transportieren. Auch das ist ein positiver Effekt der Entscheidung, das Haus zu öffnen und einen neuen Weg einzuschlagen.
Momentan funktioniert die Trennung sehr gut. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass wir eine Besucherlenkung vornehmen müssen. Es gab Zeiten, in denen Leute einfach ins Haus gingen und plötzlich in der Küche standen oder sich draußen in den Beeten umschauten und die Gartenmöbel nutzten. Ich ärgerte mich, weil sie mir zu nahe kamen und respektlos mit unseren Sachen umgingen. Eine Beschilderung und eine Kette vor unserer Tür sind nun klare Signale. Zur Pandemie mussten wir unser Areal leider komplett absperren, weil ganze Massen unterwegs waren und sich wirklich dreist verhielten.
Fahrradfahrer nahmen das Gelände als Abkürzung von der Straße in den Wald und rasten an uns vorbei. Andere leinten beim Spaziergang ihre Hunde ab, machten laut Party oder setzten sich zum Picknicken ins Gras, ohne zu bedenken, dass wir dort eine Nahrungswiese für Kühe angelegt haben. Hunderte hinterließen ihren Müll. Ich mag Touristen sehr und freue mich über jeden, der das Haus kennenlernen möchte. 95 Prozent der Leute interessierten sich in diesen schwierigen Monaten aber gar nicht für das historische Gebäude. Manche grüßten nicht einmal, wenn man ihnen begegnete.
Seit wir den Zugang beschränkt haben, erleben wir wieder eine Wertschätzung gegenüber der Anlage. Vielleicht muss noch mehr darüber berichtet werden, was es bedeutet, ein solches Haus zu finanzieren. Vor einigen Jahren haben wir eine Tour zu Schlössern und Burgen in Südengland unternommen, wo die Organisation „National Trust“ tausende denkmalgeschützte Objekte betreut. Insgesamt engagieren sich mehr als 60.000 Ehrenamtliche, indem sie die Gäste willkommen heißen und über die Historie der einzelnen Häuser berichten. Den nicht gerade günstigen Eintritt zahlen die Menschen gerne, weil sie es genießen, so etwas besichtigen zu dürfen. Diese Wertschätzung hat mich begeistert.
Nein, die Entscheidung für Haus Marck habe ich nie bereut. Manchmal trauerte ich der Kultur etwas nach. Spontan ins Theater, ins Kino oder nach nebenan zur Freundin auf einen Kaffee – das ist in der Stadt einfacher. Münster und Osnabrück sind ja nicht weit. Öfter sind wir auch für ein Wochenende in einer Großstadt. Ich will durchaus mal rauskommen, aber immer wieder zurück nach Hause.
Das Interview führte Christoph Schwartländer.
Ricarda Freifrau von Diepenbroick-Grüter ist unter anderem als Kommunikationstrainerin und Dozentin tätig. Mehr zu Haus Marck und den Angeboten vor Ort gibt es auf www.haus-marck.de.