Haus Stapel | Havixbeck | Interview Mechthild Raitz von Frentz
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Haus Stapel
© Münsterland e.V./Philipp Fölting
Wasserschloss mit Familiengeschichte
Haus Stapel

„Die Schönheit des Schlosses ist keinem Zeitgeist unterworfen“

Haus Stapel in Havixbeck zählt zu den größten Wasserschlössern Westfalens – und hält sich in der malerischen Landschaft am Rande der Baumberge doch vornehm zurück. Stapel war Sitz der Erbmännerfamilie von Kerckerinck, erhielt sein Aussehen durch einen Freiherrn von Droste-Hülshoff und wurde stets innerhalb der Familie vererbt. Sich von dem Schloss zu trennen, käme für die heutige Eigentümerin Dr. Mechthild Freifrau Raitz von Frentz nie infrage. Im Gespräch erklärt sie, warum die Tradition des Hauses zum Weitermachen verpflichtet.

Umzug vom Schloss in den nahen Neubau

Frau Raitz von Frentz, was bedeutet Ihnen das Haus Stapel?

Es ist meine Heimat. Alles in der Welt verändert sich, aber ein solches Denkmal, das von unserer Familie behutsam durch die Jahrhunderte geführt wurde, bleibt. Die Schönheit des Schlosses ist keinem Zeitgeist unterworfen. Mir tut diese Beständigkeit unendlich gut. Havixbeck zum Beispiel oder Münster sehen ja völlig anders aus als zu meiner Kindheit.

1967 zog Ihre Familie in einen Neubau in Sichtweite. Warum verließen Sie das Schloss?

Meine Mutter erbte das Anwesen 1936 nach dem Tod ihres Erbonkels Fritz. Ab ihrem neunten Lebensjahr wohnte sie in Stapel und lernte ein mühsames Dasein kennen, vor allem in den eisigen Wintern. Es gab keine Heizung und keinen Strom, nur Öfen und Petroleumlampen. Als meine Eltern 1956 heirateten und sie in sieben Jahren sieben Kinder bekamen, blieben wir als Familie zunächst im Schloss wohnen. Das Heizen der vielen Räume war weiterhin ein Problem. Eines Tages beschloss meine Mutter, nie wieder zu frieren. Das waren ihre entscheidenden Worte und der Grund für den Bau unseres Einfamilienhauses. Als wir im Januar einzogen, waren meine Eltern erleichtert. Im Winter konnte man im Schloss manchmal keine Flure wischen, weil das Wasser gefroren wäre.

Wie erlebten Sie den Umzug?

Für meine Geschwister und mich war es auch herrlich: Plötzlich hatten wir ein eigenes Zimmer und mussten nicht länger in Stockbetten übereinander schlafen. Im von uns bewohnten linken Flügel im Erdgeschoss des Schlosses gab es für Kinder wenig Platz, stattdessen mehrere Wohn- und Esszimmer. Als wir auszogen, war ich sechs.

Fühlten Sie sich dem Ort damals verbunden?

Ich habe Haus Stapel immer geliebt. Es hat so etwas Perfektes, allerdings nicht im Sinne von makellos. Wir sprechen über ein altes Gebäude mit Gebrauchsspuren. Eben deshalb ist es so authentisch und regt die Fantasie an. Im Innenhof denke ich, dass die Zeit stehengeblieben ist. Vor 200 Jahren sah es hier genauso aus.

Zu dieser Zeit ließ Ernst Konstantin Freiherr von Droste zu Hülshoff das klassizistische Haupthaus für seine Familie mit 22 Kindern errichten.

Die Vorgebäude links und rechts wurden 1608 fertiggestellt, 1719 kam das Torhaus hinzu. Von 1819 bis 1827 wurde das Haupthaus für die Großfamilie gebaut. Zwischen der Entstehung der einzelnen Gebäude von Haus Stapel liegen also jeweils 100 Jahre – dass es trotzdem wie aus einem Guss wirkt, ist August Reinking, dem genialen Baumeister des Haupthauses, zu verdanken. Obwohl die ins Schloss gezogene Familie aus 22 Kindern bestand, gab es am Ende keine Enkel. 1880 erbte es mein Urgroßvater Klemens Freiherr Droste zu Hülshoff. Er und seine Frau brachten den Flügel mit, der ihnen zur Hochzeit geschenkt worden war. Bis heute steht er im Festsaal und wird für unsere Konzerte genutzt.

Familiengeschichte seit 800 Jahren

Haus Stapel bildet Ihre Familiengeschichte ab.

Ja, der Besitz ist in der Familie seit 800 Jahren urkundlich belegt. Zu meiner Verbundenheit hat sicher Tante Bertha, die jüngste Schwester meines Großvaters, beigetragen. Sie war eine liebevolle, warmherzige Frau, die in Harmonie und Frieden ihr ganzes Leben im Schloss verbracht hat. Ihre Wohnung war die schönste, besonders wegen des sogenannten Tigerzimmers. Wir haben in Stapel ja den größten Bestand an historischen Landschaftstapeten in Westfalen, und in Tante Berthas ehemaligem Wohnzimmer ist die vollständige Szenerie einer Tigerjagd abgebildet. Die Tapete wurde in einer Manufaktur in Paris gefertigt, in den 1820er Jahren zur Erbauung des Hauses.

Welche Rolle spielte Ihre Tante Bertha für Sie?

Sie war für mich eine Ersatz-Großmutter. Wenn ich sie besuchte, saßen wir auf dem Sofa im Tigerzimmer, tranken Tee und hörten klassische Musik – wunderbare Lieder, die wir heute in unseren Haus-Stapel-Konzerten spielen. Tante Bertha hat mich geprägt. Weil meine Großmutter jung gestorben war, meinten die Tanten meiner Mutter und ihrer Schwester, darunter Bertha, sie müssten diese beiden Mädchen erziehen. Daher hatte meine Mutter ein eher angespanntes Verhältnis zu ihren Tanten, für die es übrigens ein No-Go war, als wir 1967 auszogen. Sie glaubten, meine Eltern würden jene Tradition aufgeben, die sie mühsam bewahrt hatten.

Wie bewerten Sie dies im Nachhinein?

Meine Großtanten waren sehr konservativ. Sie sagten, Strom nicht zu brauchen, weil es ja immer ohne funktionierte. Eine Waschmaschine hielten sie für neumodisches Zeug, für sie war es normal, die Wäsche wie früher in der Aa zu spülen. Elektrisches Licht kam erst 1955, vermutlich war Stapel abgesehen von winzigen Kotten das einzige Haus, das im Münsterland so spät an die Stromversorgung angeschlossen wurde. In jeder Hinsicht legten meine Großtanten Wert auf Tradition. Die Einstellung meiner Eltern war natürlich eine modernere. Heute verstehe ich beide Seiten.

Inwiefern?

In den 1970er-Jahren sollte das Schloss verkauft werden. Als Eigentümer sahen meine Eltern keine Perspektive in einem so großen Haus ohne Heizung und hatten Bedenken, es sich nicht leisten zu können. Sie waren auf der Suche nach einem Käufer, fanden aber Gott sei Dank niemanden. Das Schloss kostet unendlich viel Mühe und Geld, ja. Es ist ein Fass ohne Boden. Aber einen uralten Familienbesitz wie Stapel darf man nicht verkaufen. Dieser Meinung war ich damals schon. Generationen vor uns stellten ihre Ansprüche bescheiden hinten an, um es zu erhalten.

Besondere Momente im Festsaal

Die meisten der 55 Zimmer im Schloss sind vermietet. Was zeichnet das Leben dort aus?

Manche Mieter sind selten da und nutzen ihre Räume als Atelier oder Wochenendsitz. Elf Parteien wohnen dauerhaft dort, einige seit über 40 Jahren, denn wer zieht in ein normales Haus, wenn er einmal in einem solchen Schloss gelebt hat? Dafür sind die Räume zu schön und die Umgebung ist zu idyllisch. Wo sonst gibt es so viel Platz und Ruhe? Die Qualität und Freiheit auf Haus Stapel wissen die Bewohnerinnen und Bewohner sehr zu schätzen. Heizungen gibt es mittlerweile, aber noch nicht in allen Wohnungen.

Kostbar ist die Ausstattung des Festsaals, der nur für besondere Anlässe genutzt wird. Welche Geschichte verbirgt sich hinter seinen Wandmalereien?

Aus dem 1820 in London erschienenen Prachtband „A picturesque tour along the Rhine“ wurden einzelne Motive der darin abgebildeten Rheinlandschaften für den Festsaal ausgewählt. Ein fahrender Künstler bot wohl in Stapel an, seine Dienste zur Verfügung zu stellen. Der Abendhimmel im Motiv von Schloss Biebrich wurde im Festsaal so positioniert, dass die reale untergehende Sonne auf das Bild scheint. Es ist eine unglaubliche Akribie erkennbar. Man hat für die Ewigkeit gebaut.

Ist bekannt, warum die Wahl auf Rheinlandschaften fiel?

Nein. Der Künstler brachte sie vermutlich in einem Musterbuch mit nach Havixbeck. Laut einer Kunstexpertin war die Gestaltung des Festsaals wahrscheinlich als eine Art Reise gedacht. Damals blieb man oft am Wohnort, fuhr mit der Kutsche nach Münster und wieder zurück – das war’s. Die Landschaften im Festsaal zeigen uns das romantische Rheinland. Wir reisen, ohne den Standort zu verlassen. Und wenn wir nach draußen schauen, sehen wir die Münsterländer Parklandschaft hier zu Hause.

Sie erwähnten bereits die Konzertreihe im Festsaal. Wie ist die Idee entstanden?

Die ersten Konzerte ermöglichte meine Mutter schon vor fast 50 Jahren. Sie war sehr musikliebend und lud hiesige Musiker ein, im Festsaal zu spielen. Als ich die Solistin Heike Hallaschka kennenlernte, hatten wir binnen weniger Tage unser Konzept für klassische Liederabende mit Liedern aus der Zeit der Romantik erstellt. Der Festsaal mit seinem klangvollen alten Flügel ist wie geschaffen für diese Musik. Heike Hallaschka kann mit ihrer traumhaften Stimme die ganze Dramatik dieser tiefgründigen Texte ausdrücken. Zur damaligen Zeit lebte man ja ständig mit dem Tod und dadurch viel ernsthafter als heute. Das Leben konnte extremst kurz sein, wie auch das Schicksal in Stapel belegt: Maria Theresia, Ehefrau von Ernst Constantin, musste fast alle ihre Kinder beerdigen. Das letzte Kind starb zehn Jahre nach ihr.

Die Liederabende sind zugleich eine Hommage an Ihre Ahnin, die berühmte Annette von Droste-Hülshoff, deren Neffe Ihr Urgroßvater war.

Annette wird fast ausschließlich als Dichterin bezeichnet. Aber auch die Musik war ihr wichtig: Sie muss eine gute Sängerin gewesen sein, musizierte für ihre Familie und ließ sich von ihrem Onkel Max das Komponieren beibringen. Dieses Werk von Annette fällt in der Öffentlichkeit leider unter den Tisch. Wir holen es hervor, indem wir zu Beginn jedes Liederabends ein Stück präsentieren, das sie geschaffen hat.

2020 fanden erstmals Picknick-Konzerte im Innenhof statt.

Zuvor hielt ich es wetterbedingt für ein zu großes Risiko, ein Konzert draußen zu veranstalten. Als in der Pandemie dann sämtliche Veranstaltungen ausfielen, überlegten wir spontan, es Open-Air zu versuchen. Statt eines Sektausschanks wie bei unseren Festsaal-Konzerten anzubieten, riefen wir zur Mitnahme eines Picknicks auf. Unsere Gäste haben dann teilweise üppig getafelt, mit edlem Porzellan, Kristallgläsern und Silberbesteck. Die Konzerte sind sehr gut angekommen, mit dem Wetter hatten wir Glück. Es war ein positiver Nebeneffekt der Pandemie. Jetzt werden wir die Reihe jeden Sommer fortsetzen.

Haus Stapel diente mehrfach als Filmkulisse. Unter anderem drehte der Regisseur Dominik Graf für zwei historische Stoffe bei Ihnen. Wie war es, das Schloss im Film zu sehen?

Die Dreharbeiten waren Highlights für uns, weil wir das eigene Haus mit anderen Augen sahen. Zum Beispiel sind viele Fenster Originale aus der Erbauungszeit – das wusste ich zwar, habe mir vorher aber nie Gedanken darüber gemacht. Als die Darstellerin der Charlotte von Stein im Film „Die geliebten Schwestern“ in ihrem eleganten Kleid die Treppe hinunterging, waren wir von der Atmosphäre fasziniert. Die Filmemacher loben durchweg die Authentizität. Andere Häuser sind in der jeweiligen Epoche tausendmal umdekoriert worden, während Haus Stapel eingerichtet ist wie im 19. Jahrhundert.

Mit der Auszeichnung zum „National wertvollen Kulturdenkmal“ durch die Bundesregierung wurde Ihnen 2022 eine Förderung für die denkmalgerechte Sanierung des Schlosses zugesagt. Wo fängt die Arbeit an?

Wir sind sehr glücklich darüber, dass unser Antrag für das Programm bewilligt worden ist. In den kommenden sechs Jahren werden wir die gesamte Hülle des Haupthauses nach und nach sanieren. Ohne die Förderung wäre das Projekt finanziell nicht zu stemmen. Bislang habe ich Arbeiten kleckerweise durchführen lassen, jedoch nagt der Zahn der Zeit am Gebäude schneller, als wir mit unseren Mitteln reagieren können.

Ein weiteres Projekt betrifft den Park und den Garten. Was ist dort Ihr Ziel?

Lange ist dieser Bereich von Stapel stiefmütterlich behandelt worden, da das Gebäude ständig im Mittelpunkt des Interesses stand. Park und Garten sind nicht als das betrachtet worden, was sie ebenso sind: ein Denkmal. Ursprünglich war die Fläche auf dem Reißbrett als geometrische Form geplant und am Schloss umgesetzt worden. Im Laufe der Zeit verschwand die Linienführung des Barockgartens. Anstelle von Gemüse entwickelte sich eine Wiese, später pflanzte man sogar Nadelbäume, die jahrzehntelang wuchsen und schrecklich aussahen. Vor zehn Jahren habe ich diese Bäume als erste Maßnahme fällen lassen. Ich bin selbst begeisterte Gärtnerin und möchte die Anlage denkmalgerecht wiederherstellen. Mit einem professionell erarbeiteten Parkpflegekonzept gehen wir nun die nächsten Schritte.

Sie bezeichnen die Pflege von Haus Stapel als eine Lebensaufgabe. Man merkt Ihnen an, dass Sie sich diese gerne vorgenommen haben.

Die Aufgabe wäre undenkbar, wenn ich sie nicht so gerne machen würde. Dafür ist mitunter zu nervenzerfetzend, was einem mit dem Schloss widerfährt. Ich führte in Minden eine kleine homöopathische Arztpraxis, die ich 2013 aufgegeben habe. Alles zusammen – der Beruf, meine Familie, die Unterstützung meiner Eltern und schließlich Stapel – hat in meinem Leben nicht mehr funktioniert. Müsste ich einen Betonklotz in Berlin verwalten, würde ich bestimmt nicht von Freude erfüllt sein. Das Schloss und die damit verbundene Sinnhaftigkeit des Tuns dagegen inspirieren mich.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Haus Stapel?

Einer meiner beiden Söhne wird es übernehmen. Ich wünsche ihm Mut, denn ohne Mut geht nichts. Als Ärztin hatte ich anfangs null Ahnung von alten Gemäuern. Learning by doing lautet die Devise. Man wird nicht geboren mit der Freude an einer solchen Aufgabe, wächst aber an ihr. Erst dadurch ist Haus Stapel zu meinem Herzensprojekt geworden.

Das Interview führte Christoph Schwartländer.

Zur Person

Dr. Mechthild Freifrau Raitz von Frentz, geboren 1960, ist seit 2005 die Eigentümerin von Haus Stapel. Mit ihrer Familie lebt sie in Minden und pendelt regelmäßig nach Havixbeck. Bis September führt sie Interessierte an jedem ersten Samstag eines Monats durch den denkmalgeschützten Park und Garten am Schloss. Informationen zu den Führungen, Konzerten und weiteren Aktionen gibt es auf www.haus-stapel-konzerte.de

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