Volker Thiemann | Besondere Radfahrer aus dem Münsterland
Unternehmen Velo de Ville
© Münsterland e.V./ Philipp Fölting
Volker Thiemann

Volker Thiemann im Porträt

Volker Thiemann
© Münsterland e.V./Philipp Fölting

Velo de Ville – Spezialisten für Sonderwünsche

Wer eigene Ideen im Kopf hat und sich nicht mit Standards zufriedengeben will, der muss halt dafür zahlen. Diese Grundregel gilt verlässlich fast überall. Bei Fahrrädern und E-Bikes allerdings gibt es eine Ausnahme. In Altenberge bei Velo de Ville hat man es sich zur Aufgabe gemacht, Fahrräder nach den individuellen Vorstellungen der Kundschaft zu fertigen – zu einem bezahlbaren Preis. Custom-made im Münsterland könnte man sagen. Im Interview erklärt Geschäftsführer Volker Thiemann, wie das denn so funktioniert.

„Die vielen individuellen Anpassungsmöglichkeiten – das ist unsere DNA“


Herr Thiemann, die Ursprünge von Velo de Ville liegen im Jahr 1966. Wenn Sie auf die Historie Ihres Unternehmens zurückblicken: Was waren die wichtigsten Entwicklungsschritte auf dem Weg zu der Marke, die sie heute sind?

Wir sind damals angefangen als reiner Großhandel. 1982 haben wir mit dem Erwerb eines großen Grundstücks in Altenberge eine strategisch besonders wichtige Entscheidung getroffen. Denn das war der Schritt weg vom Großhandel hin zur eigenen Montage und Fertigung. Wir haben dort von Beginn an auf das gesetzt, was uns heute auszeichnet: maßgefertigte Räder, die die individuellen Wünsche unserer Kundinnen und Kunden berücksichtigen. Eben das, was man heute unter „custom-made“ kennt.

Wie war denn zu der Zeit die Situation im Fahrradmarkt?

Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Noch in den achtziger Jahren war es so, dass fast alle auf ein 28-Zoll-Rad „mussten“. Es gab eine Standardgröße, egal ob ich 1,50 oder 2 Meter groß bin. Das haben wir mit unterschiedlichen Rahmenhöhen versucht aufzubrechen. 1993 haben wir uns dann komplett vom Großhandel verabschiedet und uns auf die eigene Fertigung konzentriert. Fünf Jahre später bauten wir unsere eigene Pulverbeschichtungsanlage. Die Leute konnten somit unter 20 bis 30 Farben auswählen. Das alles hat uns ein gehöriges Maß an Flexibilität gebracht.

Das Konzept „Custom-made“ ist bei Velo de Ville ja dann wirklich sehr früh entstanden.

Das ist auf jeden Fall so. Ich behaupte sogar, wir waren die ersten. Wir sind damit groß geworden und habe viele Prozesse initiiert, die diese Individualisierung möglich machen. Unsere Kundinnen und Kunden können ihr Rad heute über einen Konfigurator selbst zusammenstellen, damit zu einem unserer Fachhandelspartner gehen und sich dort noch einmal beraten lassen. Dabei haben wir keine exorbitant hohen Preise. Man nennt das „kundenindividuelle Massenfertigung“ – eine sehr individuelle Form der Bandmontage mit vielen Prozessen, die es uns ermöglichen, die Vorstellungen unserer Kunden einzuarbeiten.

Das Münsterland ist als Fahrradland bundesweit bekannt. Haben Sie davon auch als Unternehmen profitiert?

Es ist immer gut, wenn man auf einen starken Heimatmarkt bauen kann. Insofern hat uns die Affinität zum Fahrrad, die die Menschen hier haben, sicher auch geholfen. Darüber hinaus ist es mit dem E-Bike im ländlichen Bereich natürlich auch einfacher Fuß zu fassen, als in städtischen Ballungszentren.

„Im Cargobike FR8 steckt eine Menge Ingenieurswissen.“


Sie haben kürzlich mit dem FR8 ein Cargobike (Lastenrad) präsentiert, das in Kooperation mit der Fachhochschule Münster unter anderem auch am Standort Steinfurt der FH entstanden ist. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Es war so, dass Studierende der FH im Rahmen ihrer Bachelorarbeit ein Cargobike konzipieren und produzieren wollten. Wir fanden das sehr interessant und haben uns bereiterklärt, das zu machen. Die Studierenden hatten im Vorfeld umfangreiche Vorarbeit geleistet, Interviews mit Nutzerinnen und Nutzern geführt und sogar 16 Familien durch ihren Alltag begleitet, um wichtige Erkenntnisse für den Bau des Bikes zu erlangen. Der Student, der für das Design des FR8 verantwortlich ist, arbeitet übrigens heute bei uns als Designer.

Was ist das Besondere am FR8?

Das modulare Baukastensystem ermöglicht unterschiedliche Anwendungen. Man kann es exakt so konfigurieren, wie man es braucht: mit einer Sitzbank für Kinder, einer Box mit und ohne Deckel oder einer Ladefläche mit Spanngurten. Das Rad wächst mit seinen Aufgaben. Wenn die Kinder groß sind, macht man daraus einfach einen Transporter. In diesem Projekt steckt eine Menge Ingenieurswissen. Die individuellen Anpassungsmöglichkeiten – das ist unsere DNA.

Diese DNA wird auch von qualifizierten Mitarbeitenden gelebt und geprägt. Eine Besonderheit bei Velo de Ville ist, dass Sie in Ihrem Unternehmen vergleichsweise viele Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Wie kam es dazu?

Es ist eine unserer Hauptprioritäten, ein diverses und inklusives Team zu schaffen. In diesem Zusammenhang sind wir besonders stolz darauf, dass wir durch unsere Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsverband Westfalen-Lippe derzeit etwa 10 Prozent Menschen mit Behinderung beschäftigen. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind essenzieller Bestandteil von Velo de Ville und werden anfänglich, beispielsweise über vom LWL geförderte Praktika, behutsam an das Arbeiten bei uns herangeführt. Wir sind davon überzeugt, dass ein vielfältiges Team die Innovationskraft und den Horizont erweitern. Die Integration von Menschen mit Behinderung stellt für unser Unternehmen eine Bereicherung dar, da ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Perspektiven frischen Wind in unser Team bringen.

Können Sie dafür Beispiele nennen?

Es sind die kleinen, aber bedeutsamen Momente des täglichen Miteinanders, die zeigen, wie erfolgreich unsere Bemühungen hinsichtlich dieser Inklusion sind. Zum Beispiel, wenn Kolleginnen und Kollegen die Gebärdensprache erlernen, um effektiver mit anderen Kollegen kommunizieren zu können. Durch gemeinsames Engagement kann eine harmonische und inklusive Arbeitsatmosphäre geschaffen werden, in der alle ihr volles Potenzial entfalten können.

Wie beurteilen Sie als Radprofi und Münsterländer eigentlich die Radinfrastruktur hier in der Region?

Das Radwegesystem funktioniert bei uns wirklich gut, das muss man sagen. Ich war erst kürzlich mit dem Rad in einer anderen Region unterwegs, da lief das bei weitem nicht so reibungslos. Die touristischen Highlights sind gut erschlossen. Man gelangt ohne Probleme, oftmals auf breiten Radwegen, von einem Ort zum anderen – vor zehn Jahren war das noch ganz anders. Die vielen Pättkes und die kleinen Wege durch Bauerschaften – das macht schon Spaß. Wenn man allerdings an einem Sonntag bei schönem Wetter fährt, ist auch einiges los auf den Straßen. Und dann denke ich mir: Jetzt müsste vielleicht der nächste Schritt erfolgen. Möglicherweise wäre es auch sinnvoll, mal wieder ein echtes Leuchtturmprojekt für die Fahrradregion Münsterland in die Tat umzusetzen.

Was sind denn Ihre Lieblingsstrecken, wenn Sie im Münsterland mit dem Rad unterwegs sind?

Die 100-Schlösser-Route ist natürlich ein Klassiker, aber auch bei uns in der direkten Umgebung gibt es tolle Strecken. Die Rieselfelder nördlich von Münster zum Beispiel. Aber ich fahre auch sehr gerne in den Baumbergen oder in der Gegend rund um die Pleistermühle. 


Vielen Dank für das Gespräch und allzeit gute Fahrt!

Über Velo de Ville

Velo de Ville ist ein Fahrradhersteller mit Sitz in Altenberge. Das Familienunternehmen wird geleitet von den Brüdern Volker und Alain Thiemann. Gemeinsam mit 150 Mitarbeitenden arbeiten sie daran, die Mobilität von Morgen zu gestalten. Velo de Ville vertreibt seine Produkte europaweit und beschäftigt eigene Vertriebsteams in vielen europäischen Ländern. Mittlerweile verkauft das Unternehmen zu 80 bis 90 Prozent E-Bikes.